
Im schönen Weserbergland in Niedersachsen liegt Hameln, die selbsternannte „Rattenfängerstadt“. Und wenn man schon mal da ist, guckt Gourmet im Hemd natürlich auch, was die Gegend kulinarisch so zu bieten hat. Nach eingehender Recherche steht schnell fest: Hameln selbst ist eher ernüchternd. Aber, siehe da, etwa 10 Kilometer westwärts liegt Aerzen und dort befindet sich das Schlosshotel Münchhausen (ja, tatsächlich das Adelsgeschlecht des Lügenbarons!), dass das Schloss Schwöbber bewohnt. Das Schlosshotel Münchhausen gönnt sich ein eigenes Gourmetrestaurant, das HILMAR, und das hat 3 Monate nach der Übernahme der Küchenleitung durch Stephan Krogmann direkt den begehrten Michelin-Stern bekommen. Also: Nix wie hin!
Raus aufs Land
Das Problem dabei: „Nix wie hin“ ist gar nicht so einfach. Das Schloss Schwöbber liegt irgendwo auf dem Land und er ÖPNV im Landkreis Hameln-Bad Pyrmont ist an Wochenenden eher überschaubar. Naja. Da Gourmet im Hemd aber gerade bei Taxen etwas knauserig ist, musste eine Alternative her. Also eine halbe Stunde mit dem Bus von Hameln nach Aerzen und dann ca. 45 Minuten zu Fuß übers Land. Vorbei an viel Grün, Bauernhöfen und dem ein oder anderen komisch guckenden Einheimischen. Immerhin war herbstliches Traumwetter. Ziemlich sicher bin ich der erste Gast im Schlosshotel, der so angereist ist. 😉
Am Schlosshotel angekommen ist der erste Eindruck: Wow, edles Anwesen an dem man sich schon mal schnell etwas fehl am Platz finden könnte. Aber ich will ja „nur“ essen. An der Rezeption werde ich auch direkt sehr freundlich vom Maître des Abends in Empfang genommen. Name und Reservierung sind bekannt, obwohl man sich noch nie gesehen hat. Guter Anfang. Einmal quer durchs Hotel ist dann auch das Restaurant erreicht und ich darf meinen Platz einnehmen. Komisch nur: Ich bin der einzige Gast, obwohl schon seit einer halben Stunde geöffnet ist. Das ist mir so auch noch nicht passiert.

Der Gastraum ist edel, aber gemütlich und schnell steigt die Vorfreunde. Als Aperitif gibt es einen südafrikanischen Schaumwein (farblich leicht Rosé) und offenbar nach Champagner-Art ausgebaut. Kann man trinken. Nach kurzer Lektüre der Karte und der Nachfrage, ob alles so passen würde, ist schnell klar: Das Menü solls komplett werden und die Weinbegleitung auch. Ich bin ja schließlich nicht umsonst so umständlich angereist 😉
Einstieg ins Menü
Die Aperos kommen dann auch schnell. Von rechts nach links ein wunderbar fluffiges Gebäck mit Blutwurst, Cornichons und Röstzwiebeln (sehr vollmundig), ein hübsches Gebilde, was aber nicht so sehr in Erinnerung geblieben ist und ein essbares Schälchen mit einem Tatar, Erbse und einem Klecks Wasabi. Letzterer hat die Geschmacksknospen tatsächlich ganz schön aufgeweckt.

Danach der Brotgang mit einem warmen Brioche sowie einer Scheibe Sauerteigbrot, gesalzener Rohmilch-Butter (mit eingestanztem Ananas-Hotellogo) sowie einer frischkäseartigen Creme mit allerlei Verfeinerungen, die ich mir so schnell nicht merken konnte. Sauerteigbrot und Butter waren klassisch gut; das Brioche (leider recht krümelig und fettig) sowie die Creme waren nicht so überzeugend.

Das Amuse-Bouche, ein Fisch-Tatar mit Gürkchen und Forellenkaviar war sehr erfrischend und – wie man sieht – sehr fein gearbeitet.

Der erste Gang kann kommen
Der erste Gang des Menüs: Roh marinierte (ungestopfte!) Gänseleber & norwegische Jakobsmuschel, Shoyu, Sellerie & Macadamianüsse. Wow, was für eine tolle Kombination! Die Gänseleber bringt cremige Süße, der Sellerie Frische, die Sauce eine präsente Säure und die Nüsse Crunch. Das gefiel mir ausgesprochen gut und war dann auch viel zu schnell weg.

Weiter gehts mit Artischocke aus der Toscana, confierter San Marzano Tomate & Vinaigrette mit Pinienkernen, Leccino Oliven & P. X. Balsamico. Eine – man ahnt es schon – sehr mediterrane und sommerliche Komposition. In Erinnerung blieb mir vor allem die süffige Sauce, die ich mir auch noch reichlich „nachschütten“ konnte. Der frisch-knackige Weißburgunder in der Begleitung hat einen guten Kontrast gesetzt. Insgesamt gut, aber nach dem vorigen Gang ein bisschen abgefallen.

Der Seeteufel von der bretonischen Küste an der Gräte gebraten mit auf Holzkohle gegrillter Tarbouriech Auster (soll handgetaucht sein) & Bouillabaisse-Aromen war dann wieder ein richtiger Knaller. Der Fisch perfekt, die Auster leicht jodig, dazu ein sehr kräftiger Fond, der stark an Krustentiere erinnert und ein bisschen Frische durch roh marinierten Fenchelsalat. Davon hätte ich auch noch 2-3 weitere Portionen essen können.

Erfrischungs-Pause
Der Erfrischungsgang war dann ein Grapefruitsorbet, welches mit Rosé-Champagner aufgegossen wurde. Lecker und neutralisierend. Genau das, was es tun soll. Für mich war das Ganze nur eine gute Spur zu kalt. Ich hatte das Gefühl der Champagner friert im Gefäß leicht an, was dann die Aromen doch dämpfte. Aber immerhin fror die Zunge nicht am Löffel fest. Also konnte es unbeschadet weiter gehen 😉

Zum Hauptgang gab es Rücken & Keule Vom Limousin Lamm, Rosso del Ticino, Don Bocarte Sardelle, Salzzitrone, Jus von Lammzungen & Kalbskopf mit jungen Bohnen & Gartenkräutern. Rosso del Ticino wurde mir als besonderer Maisgries (also Polenta) erklärt, während ich mich der Mischung aus Sardelle und Salzzitrone vorsichtig sein sollte, da dies sehr intensiv sei. Kurzum: Das Lamm war perfekt, die Sauce sehr dicht und schmackhaft und gerade das Lammfett (geht ja schonmal in die tranige Richtung) passte perfekt mit der intensiven Sardellen-Salzzitronen-Mischung zusammen. Lediglich die Nocke Maisgries war etwas fest geraten.

Langsam spannt das Hemd
Vor dem süßen Teil des Menüs setzte dann auch schon die Sättigung ein, aber Aufgeben ist an dieser Stelle selten gut.
Das Pré-Dessert, Victoria Ananas, Kokosnuss & Karamell war simpel wie lecker. Einfach zum Weglöffeln. Und wer jetzt dachte, dass die Ananas zufällig im Menü gelandet wäre, liegt daneben. Diese sei immer irgendwo im Menü eingebaut, da sich um das Schloss in grauer Vorzeit eine der größten Pflanzensammlungen (inkl. Ananas) Europas befunden haben muss (daher auch das Hotellogo). Selbst Zar Peter der Große hat sich das wohl mal ansehen müssen…sagt zumindest Wikipedia.

Das Dessert, Original Beans „Yuna“ Edelweiß, Irwin Mango, Gewürz-Kaffee & Tahiti-Vanille, war dann nicht nur schon anzusehen, sondern wechselte wunderbar zwischen cremig süß, fruchtig frisch und einer ordentlichen Note geröstetem Kaffee. Was soll ich sagen: Lecker und, für mich wichtig, nicht zu süß!

Zum Abschluss gab es dann noch feine Confiserie zum Espresso, von der vor allem ein fluffiger Windbeutel, ein Pistazien-Macaron und eine Praline mit herber Mousse in Erinnerung blieben.

Lohnenswert, aber spärlich besucht
Der Ausflug aufs Land hat sich gelohnt! Ja, der Küchenstil ist recht klassisch, aber das Menü ist nicht nur auffallend präzise und detailreich gearbeitet, sondern auch einfach sehr schmackhaft. Gleiches gilt für die Weinbegleitung. Keine Experimente, aber dafür vergleichsweise hochwertige und immer sehr gut passende Tropfen. Kleiner Wermutstropfen war das für einen Samstag-Abend mit insgesamt 7 Gästen recht leere Restaurant. Man verriet mir, dass die Personalsituation derzeit etwas angespannt sei und man deshalb nur wenige Reservierungen angenommen habe. Irgendwie schade, aber auch verständlich.
Tja, und da Google Maps mir für den Rückweg nach Hameln dann einen ca. 2,5-stündigen Fußmarsch entlang von Landstraßen angeboten hat, hat sogar Gourmet im Hemd mal seine Knauserigkeit über Bord geworfen und in ein Taxi investiert. 😉
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